02.10.2019 von 19:30 bis 21:00 Uhr Konzert im Boxring – Fürchte dich nicht

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Fürchte dich nicht – gesungen wird immer, in Friedenszeiten genauso wie im Krieg, als Sieger wie als Verlierer. Singen gibt uns Menschen Kraft und Hoffnung, unser Leben und unsere Gesellschaft immer wieder neu zu gestalten –ob dies zum Guten oder zum Schlechten führt, bleibt ungewiss. Auch die Friedliche Revolution brachte eine Zeit der Umgestaltung, die selbst nach 30 Jahren noch nicht beendet ist. In diesem Konzert richten wir unsere Ohren auf die musikalische Bewältigung solcher Umbruchszeiten. Ob dreißigjähriger Krieg, der Aufbau eines neuen Staates nach Ende des zweiten Weltkriegs oder Wendezeit: die Suche des Menschen nach einer Zukunft findet ihren Ausdruck in seinen Liedern.

Vor 300 Jahren stand Sachsen auf der Schwelle zum Dreißigjährigen Krieg (1618-1648), der unsagbares Leid über die Bevölkerung bringen sollte. Sachsen bereitete sich darauf vor, in den Krieg gegen Böhmen einzutreten. Diese Zeit der Unsicherheit, Entbehrung und des Verlustes prägte die Arbeits- und Lebensbedingungen der befreundeten Komponisten Johann Hermann Schein und Heinrich Schütz. Beide begegneten der Allgegenwärtigkeit des Todes mit einer Vielzahl von Psalmvertonungen und Psalmnachdichtungen. In Psalm 126 (Die mit Tränen säen) dankt der Beter Gott für die Befreiung des Volkes Israels aus dem babylonischen Exil und bittet um Beistand in schweren Zeiten. In Psalm 116 (O Herr) dankt der Psalmbeter Gott für die Rettung aus einer lebensgefährlichen Notlage. Schließlich wendet sich der Beter des Psalms 25 (Wende dich, Herr) vertrauensvoll mit seinen Bitten an Gott. Biblisches Flehen wurde aufgegriffen, in denen sich die Zeitgenossen von Scheins und Schütz wiederfinden und Hoffnung schöpfen konnten.

Fürchte dich nicht – etwa 100 Jahre später vertonte Johann Sebastian Bach den Zuspruch der Geborgenheit bei Gott. Der reiche und filigran geführte Satz seiner Motette nimmt Worte aus Jesaja 41 und 43 auf. Auffällig ist, dass sich der achtstimmige Satz in seiner Mitte zu den Worten „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein“ zur Vierstimmigkeit reduziert. Die drei tiefen Stimmen beginnen nun eine Doppelfuge mit einem absteigenden chromatischen Thema auf den Text „Denn ich habe dich erlöset“ und antworten darauf mit einem aufsteigenden diatonischen Hoffnungsmotiv, das den Satz „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein“ zum Klingen bringt. Die absteigende Linie versinnbildlicht das vom Himmel herabsteigende Erlösungshandeln Gottes, die aufsteigende, die Freude derer, die dies im Glauben annehmen. Dann erhebt sich – als Höhepunkt des Stückes – über den fugierenden Stimmen die Choralmelodie „Herr mein Hirt, Brunn aller Freuden“, ehe am Ende die doppelchörige Struktur des Anfangs wiederkehrt.

Als Reaktion auf die Grauen des zweiten Weltkrieges stand das Ringen um ein neues, besseres Leben und Staatssystem. Im Zuge dessen entstanden Anfang der Fünfzigerjahre die Lieder von Hanns Eisler zu Texten von Johannes R. Becher. Lieder, die die Suche nach einer neuen Art des Zusammenlebens widerspiegeln. Dabei stand aus Sicht der Kommunisten der Glaube an einen christlichen Gott der Modernisierung im Wege. Der Kampf gegen die Religion wurde als essentiell für die Modernisierung der Gesellschaft angesehen. Dabei übernahm die politische Ideologie eine religiösen Funktion – und mit ihr ihre Musik. Doch wer davon singt zu siegen, wird wieder Verlierer schaffen (Naturbetrachtung). Wer einem Staatsführer huldigt, für den Erschießungen und Terror legitime Mittel zur Machterhaltung waren, der kann nicht überzeugend um Frieden bitten (Lenin und Im Frühling). Diese den Texten innewohnenden Widersprüche stehen beispielhaft für die vielen unterdrückten Bedürfnisse der Menschen, deren Einforderung  1989 in die friedliche Revolution mündete.

Im gleichen Jahr schrieb Arvo Pärt sein Magnificat. Es strahlt kontemplative Ruhe und Gewissheit aus. Der estnische Komponist bezeichnete seinen Kompositionsstil als „Tintinnabuli“ (lateinisch: Glöckchenspiel), der von mystischen Erfahrung mit Kirchengesängen inspiriert wurde. Das Stück wird musikalisch durch zwei Stimmen geprägt: die erste (auch „Tintinnabuli-Stimme“ genannt) umfasst einen Dreiklang, der in Arpeggien gebrochen wird die zweite bewegt sich in diatonischen Schritten.

Fürchte dich nicht (Bach) haben wir an das Ende des Konzertes gesetzt – als Motto und Botschaft an das Publikum, sich wachsam, aber mit Zutrauen der Zukunft zu stellen und aus der Musik Kraft und Hoffnung zu schöpfen. (Andreas Reuter)

 

Programm

Heinrich Schütz (1585-1672)
Die mit Tränen säen werden mit Freuden ernten SWV 378

Hanns Eisler (1898–1962)
Alles folgenden Werke Eislers aus: Neue deutsche Volkslieder, Text: Johannes R. Becher
Die alten Weisen
Die Welt verändern wir
Wenn Arbeiter und Bauern

Johann Hermann Schein (1586-1630)
O Herr, ich bin dein Knecht (Israels Brünnlein)

Hanns Eisler (1898–1962)
Lenin
Das Wunderland
Naturbetrachtung aus: Vier Stücke für gemischen Chor op. 13

Johann Hermann Schein (1586-1630)
Wende dich, Herr, und sei mir gnädig (Israels Brünnlein)

Hanns Eisler (1898–1962)
Das ferne Lied
Deutschland
Volkes Eigen

Arvo Pärt (*1935)
Magnificat für Chor SATB (1989)

Hanns Eisler (1898–1962)
Lied von der blauen Fahne
Im Frühling

Johann Sebastian Bach (1685-1750)
Fürchte dich nicht, ich bin bei dir, 9min
Motette BWV 228 (entstanden wahrscheinlich vor 1719)

Veranstaltungsort

Westwerk, 04229 Leipzig, Karl-Heine-Straße 87

02.10.2019

von 19:30 bis 21:00 Uhr